Brot statt Böller

Als wir in Frühjahr 2020 begannen, uns der Losung für 2021 anzunähern, war unser Leben noch „nor-mal“: man stand auf, ging zur Arbeit oder auch nicht, sorgte für den Lebens(unt)erhalt, verbrachte seine Zeit mit liebgewonnenen Menschen und Aktivitäten und das alles ohne Mund-Nasenschutz. Dass so etwas einmal ein „normales“ Accessoire werden würde, wäre uns da nicht in den Sinn gekommen. Dann veränderte sich unser Alltag sehr plötzlich und ziemlich radikal ‒ für manche mehr, für andere weniger. Pflegende und andere sog. Systemrelevante wurden die neuen Helden, eine interessante Auswahl an Alltagsprodukten wurde gebunkert. Es hatte den Anschein, als wäre sich jede*r plötzlich selbst die*der Nächste. Erschrocken blickten wir nach China und Italien, folgten den Vorgaben unserer Regierung und blieben zu Hause.

In die Folgen dieser Zeit tritt die Jahreslosung für das Jahr 2021 und wird plötzlich ganz anders wichtig als vorher:

Jesus Christus spricht: Seid barmherzig wie auch euer Vater barmherzig ist. (Lk . 6,36)

Unser spontaner Eindruck war: für eine Organisation wie Brot für die Welt, die zu Gerechtigkeit und Tei-len aufruft, ist das doch eine Steilvorlage! Aber dann schauten wir noch einmal genauer hin: barmherzig? Ist das nicht ein Wort, das heute kaum noch jemand versteht? Aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ist es weitgehend verschwunden. Barmherzig ‒ erbarmen ‒ diese Worte sind uns mehr oder weniger fremd geworden. Unbarmherzig dagegen sagt vielen noch etwas ‒ aber barmherzig? Vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Auf den folgenden Seiten finden Sie eine Anregung, mit Gruppen zu diesem Wort ins Gespräch zu kommen.

Das „Herz“ im Wort lässt erahnen: es geht hier um ein Gefühl. Sich jemandes oder etwas erbarmen meint, aus Mitgefühl zu helfen. Etwas, das wir sicher aus unserem unmittelbaren Umfeld kennen. Aber wenn wir weiter blicken ‒ über unsere Fensterbank hinweg bis an die Grenzen Europas und in andere Kontinente ‒ können wir da noch Mitgefühl empfinden? Haben uns die vielen schlimmen Nachrichten über die Flüchtenden und Geflüchteten der Welt vielleicht abstumpfen lassen oder lässt es uns verzweifeln? Die frühen Aufrufe zum Spenden von Brot für die Welt haben tatsächlich sehr stark an das Mitgefühl appel-liert ‒ und an unsere Christ*innenpflicht, Opfer zu bringen für die, denen es schlechter geht als uns. In-zwischen leben wir insgesamt in Deutschland in nie zuvor gekanntem Wohlstand. Und dennoch haben viele das Gefühl, noch mehr zu brauchen oder vielleicht nicht mithalten zu können. Die Konsumspirale dreht sich immer schneller und droht unsere Welt an den Rand des Kollapses zu bringen. Denn Konsum hinterlässt Müll und belastet die Meere und die Atmosphäre.

Auch haben unsere Partnerorganisationen sich weiterentwickelt. Sie sind selbstbewusst geworden, sehen sich nicht mehr als Empfänger von Hilfe, sondern wollen tatsächlich Partner sein. Ein junger Mann aus Kamerun, der in Deutschland einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst geleistet hat, fasste das in dem Satz zusammen: „We don ́t want charity, we want sharity.“ ‒ „Wir wollen keine Almosen, sondern Teilhabe.“

Denn der Wohlstand im Globalen Norden und die Nöte im Globalen Süden sind zwei Seiten derselben Medaille. Es geht um keine geografischen Grenzen in unserem Tun und Denken, sondern um eine ge-meinsame globale Verantwortung. Die globalen Ungerechtigkeiten sind schwer zu ertragen, wenn man die Ursprünge und unserer darin begründete Verantwortung bedenkt. Noch immer wiegt das Erbe des Kolo-nialismus schwer und eine Auseinandersetzung tut an vielen Stellen Not.

Mit Blick auf diese Weltsituation bekommt die Jahreslosung einen hohen Anspruch. Doch sie kann uns auch gerade deshalb Motivation sein in diese Welt hineinzuwirken. Aber wie kann das gehen? Nun ‒ dazu ist uns einiges eingefallen: Spenden ist eine Möglichkeit. Zumal sich im Zuge der Pandemie die Situation für die Partnerorganisationen von Brot für die Welt bedrohlich verändert hat. In vielen Ländern haben Menschenrechtsverletzungen stark zugenommen. In Indien wurden kritische Gesetzgebungen (bspw. zur Staatsbürgerschaft) über Nacht durchgesetzt, vielerorts werden Handlungsräume der Zivilgesellschaft massiv beschnitten. Und natürlich sind viele Gesundheitssysteme durch die Auswirkungen von Covid-19 völlig überlastet. All das stellt unsere Partner weltweit vor große Herausforderungen, für die sie Unterstüt-zung benötigen.

Neben der Spende, möchten wir einladen sich politisch zu engagieren. Möglichkeiten bieten dafür aktuell insbesondere die Forderungen nach einem Lieferkettengesetz, wie es im Koalitionsvertrag festgehalten ist. Ein wichtiger Teil besteht darin, dass es entlang der Lieferkette keine Kinderarbeit geben darf. Mit der glo-balen Kampagne „100 Millionen“ stärken wir dieses Anliegen und engagieren uns mit der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und unserem langjährigen Partner und Nobelpreisträger Kailash Satyarthi aus Indien für ein Ende von Kinderarbeit. Ziel ist es, dass sich 100 Millionen Jugendliche für die 152 Millionen arbeitenden Kinder (73 Millionen davon unter ausbeuterischen Bedingungen) stark machen. Konkrete Anregungen finden Sie auf den nächsten Seiten. Weil uns dieses Anliegen so nah und wichtig ist, lautet das Motto der 62. Aktion von Brot für die Welt „Kindern Zukunft schenken“. Aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr auch auf unserer Karte den Schwerpunkt auf Kinder gesetzt.

Die weltweite Pandemie hat nicht nur uns aus unserem Trott gerissen und wie ein Brennglas das Licht auf die wunden Punkte in unserer Gesellschaft weltweit gerichtet. Sie hat auch unseren Blick auf die Losung geschärft: vielleicht würde Jesus Christus heute sagen: „Euer Vater hat euch an diesen Ort gesetzt, damit ihr die Welt zu einem lebenswerten Ort für alle Menschen macht, die darauf leben.“

Brot für die Welt
Spendenkonto: 500 500 500
Bank für Kirche und Diakonie
IBAN: DE10 1006 1006 0500 5005 00
BIC: GENODED1KDB